Isamu Noguchi als Gestalter
"Das Licht einer Akari leuchtet wie das Licht der Sonne, das durch ein Shoji-Papier gefiltert wird. Die Magie des Papiers verwandelt die kühle Elektrizität zurück ins ewige Licht der Sonne. Damit ihre Wärme auch in der Nacht unsere Räume füllen kann"Isamu Noguchi (*1904-1988+)
Durchforscht man die Geschichte des Designs in Hinsicht ebenso markanter wie wichtiger Zeitabschnitte, so werden sich die Zeitabschnitte zwischen 1945 und 1955, besonders für das amerikanische Design, als äußerst substantiell herausstellen. Die Schichtholzexperimente, die Charles Eames noch in den letzten Kriegsjahren aufgenommen hatte, um etwa leichte Beinschienungen zu produzieren oder sogar Fluggleiter, stellten nun eine vernünftige Basis für die Herstellung von Sitzmöbeln dar. Möbelproduzenten, wie die Firma Hermann Miller aus Zeeland in Michigan oder Knoll International, nahmen dankbar die Ideen einer neuen Generation von Gestaltern auf, die wie das Ehepaar Eames oder etwa George Nelson versuchten, ein qualitativ hochwertiges und ästhetisch anspruchsvolles Design herzustellen und in hohen Stückzahlen zu moderaten Preisen zu produzieren.
Ermunternde Innitiative zu einem gestaltungsbewußten Denken ging auch von Medien und Institutionen aus. So sollte man heute nicht vergessen, welche ungeheure Motivation von einem Wettbewerb wie dem 'International competition for low cost furniture' ausging, die das Museum of Modern Art 1948 ausschrieb. Die Zeitschrift 'Arts and Architecture' beispielsweise finanzierte 1949 durch Ausschreibung die Erstellung sogenannter 'Case Study Houses'. Die Realisation der eingereichten Hausentwürfe wurde unter anderem Eero Saarinen, den Eames oder Richard Neutra zugesprochen.
Vorherrschende Attraktivität und thematisch verbindende Herausforderung jener Tage schien die Gestaltung von Stühlen zu sein. Saarinens 'Womb Chair', die frühen Schichtholzstühle von Eames, oder Richard Neutras 'Boomerang chair' sind aus dieser produktiven Phase des Designs hervorgegangen. Daß auch Bildhauer mit dem Entwurf von Möbeln betraut wurden, wird gerade an der Person Harry Bertoias ersichtlich. Bertoia, der bis 1946 im Studio Eames arbeitete, entwarf um 1952 die dynamisch aufgeworfenen Schalengitter seiner Stuhl- und Sesselvarianten, die in Deutschland ab 1956 bei Knoll International nachzufragen waren.
Auch aus anderer Hand ist uns der Bildhauer als Gestalter bekannt: 1944 entwirft der amerikanische Bildhauer Isamu Noguchi einen Tisch, der unter gleichem Namen bekannt wird. Auf der Grundlage von Illustrationen und Skizzen, die als graphische Begleitung des Essays 'How to make a table' von George Nelson in Auftrag gegeben wurden, entsteht eine Inkunabel der Designgeschichte. George Nelson ist zu jener Zeit Direktor der Designabteilung des amerikanischen Möbelherstellers Herman Miller, Zeeland und vor allem durch Entwürfe wie das berühmte 'Marshmallow-Sofa' oder den 'Coconut-Chair' bekannt.
Basis des 'Noguchi Table' sind zwei skulpturale Holzelemente, die als Sockel fungieren, dem Tisch zugleich aber auch als moderne Plastik erscheinen lassen. Eine schwere organisch geformte Glasplatte bildet den Abschluß. Wenige Jahre später, 1948, entwirft Noguchi eine elegante, großdimensionierte Couch für die Miller Collection, die heute wohl zu den gesuchtesten Objekten großer Sammlungen gehört. Noguchis Design erweist sich als außerordentlich erfolgreich.
In den nachfolgenden Jahren ist er auch bei Knoll International vertreten, die sowohl seinen schwingenden Hocker 'Knoll', wie auch seinen 'Dinning Table Typ 3 1 l' produzieren. Sowohl Esstisch wie auch Hocker sind nach dem Torsionsprinzip gestaltet, oder besser: konstruiert.
Noguchi hatte sich hier in seiner Basisidee für eine flexible und zugleich stabile Metallkonstruktion entschieden. Mit dem Konzept der filligranen Metallbasis reiht er sich bei Eames, Nelson oder Bertoia ein, die sich zu jener Zeit mit ähnlichen Gestaltungsproblemen auseinandersetzen.
Isamu Noguchi, 1904 geboren, ging aus der Verbindung eines japanischen Dichters und einer amerikanischen Schriftstellerin hervor. Obwohl er in Los Angeles geboren wurde, verbrachte er seine Kindheit und Teile seiner Jugend in Japan. Ein wesentlicher Einfluß seiner Jugendzeit mag eine Tischlerausbildung gewesen sein, anders wäre der sinnliche Umgang mit dem Material und die sensible Formführung kaum zu erklären. in den Skulpturen und Objekten kommt diese Sensibilität zum Tragen.
Noguchis Begabungen gehen über das Maß des Gewohnten hinaus: Bildhauer, Gartenarchitekt, Bühnenbildner, Gestalter, Keramiker und Kostümdesigner sind vielseitige Facetten seines Wesens, die er mit konzentrierter Energie zur Entfaltung bringt.
Angeregt durch eine Ausstellung des Bildhauers Constantin Brancusi, kommt Noguchi 1927, gefördert durch ein Stipendium, nach Paris. Sechs Monate arbeitet er als Assistent dieses, für die Skulptur des XX. Jahrhunderts wohl entscheidenden Mannes. Die wichtigen Impulse, dieser kurzen aber intensiven Zeit finden später ihren Niederschlag im Variationsreichtum der Skulpturen Noguchis. In Europa ist es auch Paris, in dessen Stadtbild Noguchi mit seiner Signatur am tiefsten eindringt. In den Jahren 1956-58 wird er von der Unesco beauftragt, einen Garten für das neue Unesco Centralgebäude zu entwerfen und auszuführen. Das Resultat ist ein japanischer Garten von klassischer Anmutung und großer Harmonie, der in seiner reduzierten, aber spannungsreichen Erscheinung, als Anlage eine ideale Ergänzung zur modernen Architektur Marcel Breuers und Pier Luigi Nervis bildet. In diesem, wie auch in den vielen nachfolgenden Gartenarchitekturen, die Noguchi etwa für New York, Tokyo oder Jerusalem entworfen hat, kommt das ganze Spektrum seiner formgegeben Kraft zur freien Entfaltung.
Ein wesentlicher Bestandteil der Arbeiten Isamu Noguchis, seien es die Gartenanlagen, Skulpturen oder auch Möbel, scheint die Einbindung traditioneller Elemente in die jeweiligen Gestaltungsprozesse moderner Prägung. Nachvollziehbar ist dies besonders bei jenen Skulpturen Noguchis, deren Verbreitung nicht zuletzt über abertausende von Imitaten betrieben wurde. Gemeint sind hier die, im Original überaus fragilen Akari Lights, deren ersten Entwurf Noguchi selbst 1951 datiert.
Die Doppelbedeutung des japanischen Wortes Akari beschreibt sowohl Licht im Sinne von Illumination und Beleuchtung, sie ist aber gleichermaßen auch im Sinne einer körperlichen Leichtigkeit und Enthobenheit zu verstehen. Beide Bedeutungsebenen kommen in wunderbarer Weise in den Lichtskulpturen Isamu Noguchis zur Wirkung.
Reisenotizen geben über die Entstehungsge- schichte der Akaris relativ präzise Aufschluß. Noguchi besuchte zu Beginn der fünfziger Jahre Gifu, eine kleine Ortschaft, die in Japan vor allem durch die Tradition der Herstellung von Papierlaternen berühmt ist. Als Bildhauer war Noguchi besonders am Prozeß der Formbarkeit solcher Laternen interessiert und ließ sich durch die alten traditionellen Fertigungstechniken inspirieren, neue Formen zu schaffen. Bei Ozeki, einer der kleinen und alten Manufakturen, wurde er in die spezifischen Verhaltensweisen des Materials eingeweiht. Das Papier einer Akari wird aus der Rinde des Maulbeerbaums gewonnen, das flexible Innengerüst der Leuchte, um die dieses Papier gebunden wird, besteht aus Bambus.
Noch heute ist Ozeki die einzige Manufaktur, die Akaris nach den Entwürfen und auf den Modellrohlingen Isamu Noguchis herstellt. Die Authentizität einer Akari bemerkt man zunächst einmal an der Feinheit der verwendeten Materialien. Das Signum einer Akari sind Sonne und Mond in schwarzer oder roter Kontur, wie sie dem japanischen Ideograph entsprechen. Die facsimilierte Signatur Noguchis ist ein zusätzlicher Hinweis auf die Authentizität der Leuchten aus Gifu.
Die, mit dem Beginn der fünfziger Jahre einsetzende Faszination an den vielfachen Gestaltungsmöglichkeiten der Akaris, hat Noguchi ein Leben lang nicht verlassen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1988 hat er weit über 80 Formen geschaffen, zudem zahlreiche Variationen, die sozusagen als plastische Skizzen und Prototypen immer solitäre Entwürfe geblieben sind. In einigen der hängenden Akaris glaubt man eine Reminiszenz an Noguchis Tage im Ateliers Brancusis zu erkennen: zweifellos erinnern diese Formen an die 'Endlose Säule'.
Andere Formen Noguchis loten die Möglichkeiten aus, das Potential an ästhetischen Möglichkeiten freizulegen, das in der Faltung der höchst sensiblen Papierschicht liegt. Das Konstruktionsprinzip der Akaris basiert darauf, daß auch die komplexesten Leuchtenformen ohne Schwierigkeiten wieder flach zusammenfaltbar sind. Die so entstehende einmalige Struktur des Papiers ist eine Patina, welche die Schönheit der Leuchte und die Streuung des Lichtes maßgeblich beeinflußt.
Allein die formale Entwicklung der Leuchtenformen und Variationen erscheint spannend: Ausgehend von seinem Interesse, Licht in Skulpturen zu verwenden und seinem Drang, ein Material zu finden, das der Schwerkraft scheinbar widerstrebte, besuchte Noguchi die Leuchten- manufaktur Ozeki. Bereits ein erster Besuch dort zeigte, welch ein enormes Potential an Gestaltungsmöglichkeiten in dieser Tradition lag. Zu den frühesten Entwürfen für Ozeki zählen Leuchten, die zunächst das traditionelle Formgut aufnehmen und variieren. Die Akaris 10a, 14a und 15a belegen diese Entwicklung um die zweite Hälfte der 50er Jahre.
In den folgenden Jahren entwickelt Noguchi vor allem kugelförmige Varianten der Leuchten, die von minimalistischer Klarheit gezeichnet sind und wahrscheinlich das grundlegende Image der japanischen Papierleuchten in die Welt getragen haben. Mit Beginn der 70er Jahre treten verstärkt komplexere geometrische Formen in den Mittelpunkt seines Gestaltungsinteresses. Stehend oder hängend präsentieren sich die zumeist langgezogenen Papierleuchten als raumgreifende Skulpturen, deren schwebendfragile Erscheinung durch die Beleuchtung effektvoll unterstrichen wird. Hin und wieder finden wir Akaris mit deutlichen Elemente asiatischer Kalligraphie bedeckt, die wie bei der UF3-Qbenannten Leuchte, von präziser Setzung und hoher ästhetischer Dichte gezeichnet sein können.
Es war vor allem der 'poetische' Wert der Akari Leuchten, der sich für Noguchi in ihrem warmen, immateriellen Schein spiegelte und die symbolische Kraft der Geborgenheit in sich trug. Mehr als dies, bestimmen die fragilen Leuchten den Raum, definieren die umliegende Architektur durch die Modulation ihrer Umgebung. Durch das Papier dringt stets ein gleichmäßig gefiltertes Licht, das die Leuchte als Skulptur deutlich gegen den Umraum absetzt. Die Funktion der Akari ist somit immer auch an ihre ästhetische Erscheinung, ihre Form gebunden.
Noguchi hat jede dieser Leuchten aus der Ozeki Manufaktur als authentische Skulptur angesehen. Noch heute werden die Bambusskelette der Leuchten auf den Originalen Holzformen der Prototypen aus den jeweiligen Entstehungsjahren geleimt. Das Potential Isamu Noguchis, das traditionelle Formen- vokabular japanischer Papierlaternen aufzusprengen und zu erweitern, die Einsicht es mit elektrisch erzeugten Licht zu kombinieren, hat die Herstellung japanischer Papierlaternen auf lange Zeit gesichert und so dieser Tradition ein Überleben gesichert. Das Vertrauen darauf, gewisse traditionelle Werte in der Kombination mit zeitgemäßer Technik zu erhalten, sozusagen gegen die schnellebigen Tendenzen der heutigen Zeit zu stellen, hat sich in Hinsicht auf die Akaris als probates Gestaltungskonzept erwiesen.
Anläßlich einer retrospektiven Ausstellung über sein bildhauerisches Werk, die den Titel 'Akari Licht und Stein' trug, äußerte Noguchi in Bezug auf die Akaris: "Auf der ganzen Welt gibt es eine wachsende Nachfrage nach den Akaris, die zugleich als Lichtquelle und als Kunstwerk gesehen werden, das sich in jeden Raum einzufügen scheint. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß eine Kunst die solch eine Verbreitung erlangt hat nicht ohne Einfluß auf unsere Lebensart ist. Gleich ob arm oder reich, sind Akaris ein Zeichen für Sensibilität, nicht für Status. Die Qualität der Akaris vermag unsere Welt zu erhellen, wie auch immer sie beschaffen ist. Ob Ost oder West, klassisch oder modern,- 'nichts ist zu elegant oder zu düster um nicht durch den Schein einer Akari bereichert zu werden."
Angemerkt sei noch jene Anekdote, die Noguchi einmal in Hinsicht auf den unerträglichen Strom billiger Immitate seiner Akaris zu berichten hatte: Bei einem Gang durch die Straßen New Yorks passierte Noguchi die Auslage eines Schaufensters, in dem diverse Leuchten unter dem Hinweis 'Noguchi' Leuchten präsentiert wurden. Noguchi betrat den Laden und machte den Händler darauf aufmerksam, daß dies garantiert keine Originalen Leuchten, sondern Fälschungen seien. Worauf der Händler gelassen antwortete, das mache gar nichts, denn er hätte auch Leuchten im Brancusi und im Leger Stil auf Lager, falls man die 'Noguchi' Leuchten nicht wolle.
In diesem Sinne dürfen wir vielleicht auch die 1961 entstandene Lichtskulptur 'Calza' (Strumpf) des italienischen Designers Bruno Munari als humoristische Homage an die luminiszenten Skulpturen Isamu Noguchis werten, die deutlich am Original inspiriert, zahlreiche Immitate auf ihren Platz verweist.
Hans Irrek, im Juni 1997